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Mensch-Maschine

Warum es Zeit für eine Hochzeit ist | Sebastian Naderer


Vor etwa sieben Jahren habe ich mich zum ersten Mal der Frage genähert, auf welche Art und Weise Mensch und Maschine in ein wertvolles co-evolutionäres Verhältnis gebracht werden können. So trivial sich diese Frage zunächst anhören mag, in ihr stecken die Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts verborgen und die Antworten sind dabei alles andere als trivial. Warum ist dies der Fall?


Es existiert wohl kein Thema das so intensiv, kontrovers aber auch häufig vernunftfrei diskutiert wird wie das der Künstlichen Intelligenz bzw. Big Data. Überschätzen die USA die Ergebnisse maschinell-induzierter Ergebnisse, trauen wir Europäern Algorithmen und Daten grundsätzlich nicht über den Weg, was in gravierenden Fehlinvestitionen und einer generellen Vernachlässigung der Thematik aber auch einer naiven Grund- und Abwehrhaltung mündet. Andererseits werden in den Staaten fast täglich wissenschaftliche (Schein)Korrelationen als große "Breakthroughs" verkauft. Diese naive Technikgläubigkeit gipfelt etwa in der berühmten Aussage Dahrs (2012), wonach wir vor einer "End of Theory" stehen, also quasi Wahrheiten bzw. Gesetzmäßigkeiten in Zukunft auch ohne menschliches Zutun produziert werden können. Die Aussage Dhars zeigt das naive aber auch gefährliche Technikverständnis auf, das gerade im Silicon Valley wie am Band produziert wird. Eine klassische statistische Weisheit lehrt uns jedoch, dass eine Korrelation noch keine Kausalität induzieren muss. Demnach müssen maschinell errechnete Zusammenhänge zwischen Variablen nicht ursächlich zusammenhängen, sondern können vielmehr rein zufällig gemeinsam auftreten. Und genau das tun sie meistens auch. Unser großartiges Analystenteam beim targetAGENT berechnet hunderte von Korrelationen (Wetterdaten, Ortsdaten, Börsendaten, Umsatzdaten,...) im Stundentakt, aber nur einem Bruchteil dieser identifizierten Zusammenhänge liegt auch eine kausale Wirkung zu Grunde und wird unseren Kunden entsprechend weitergemeldet. Diesem prominenten "Big Data" Problem der Scheinkorrelation kommen wir dabei wissenschaftlich nur dann hinreichend auf den Grund, wenn wir etwas zusammenführen, was aus epistemologischen Standpunkten zunächst ganz und gar nicht zusammenpasst: Mensch und Maschine; qualitative Sozialforschung bzw. Hermeneutik und quantitative Datenumgebungen (Big Data). Dabei greife ich auf eine sehr alte Forderung Max Webers (1951) zurück, die wohl noch nie so aktuell und brisant war wie in unserer datengestützten Gegenwart. Weber zu Folge muss jede wissenschaftliche Aussage nicht nur kausal-, sondern immer auch sinnadäquat sein. Was heißt das? (Wissenschaftliche) Zusammenhänge dürfen nicht nur einfach statistisch zusammenhängen, sondern müssen hermeneutisch den gleichen "Sinn" entfalten. Anders formuliert muss jeder zu analysierender Datensatz die gleiche Motivgrundlage aufweisen, um identifizierte Korrelationen auch als sinnadäquat einordnen zu können. Nur dann können wir von einer "sinnadäquaten Rückbettung" sprechen. Ein simples Beispiel: mehr als 1000 Veganer besuchten eine Ernährungsmesse. Obwohl die Besucher zum gleichen Zeitpunkt am selben Ort waren und sogar beinahe das gleiche Geschlecht und Alter aufwiesen(netzwerktheoretisch daher ein sogenanntes "Catnet" vorlag) stimmten die restlichen Datenpunkte so gar nicht zusammen. Warum war dies der Fall? Erst über eine hermeneutische Tiefenanalyse kamen wir dieser Problemstellung auf den Grund. Die Teilnehmer konnten zwei unterschiedlichen "SINN-Clustern" zugeordnet werden. Eine Gruppe ernährte sich vegan, aufgrund funktionaler Motive (z.B. um fit zu sein, jung zu bleiben etc.) während eine Gruppe sich aus ethischen Gesichtspunkten (z.B. für den Tierschutz) vegan ernährte.


Sie merken, ich möchte Sie mit dieser möglicherweise zu wissenschaftlichen Formulierung auf einen ganz simplen aber zentralen Punkt in KI bzw. Big Data zentrierten Umgebungen hinweisen: Mensch und Maschine müssen für hinreichend valide Erkenntnisse in einen permanenten und fruchtbaren Dialog treten. Maschinell errechnete Ergebnisse MÜSSEN immer auch einem qualitativ hermeneutischen Blickwinkel standhalten.

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